Mythos Babyschlaf – Warum Dein Kind (immer noch) nicht durchschläft

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Kaum ein Thema beschäftigt Eltern so sehr wie der Babyschlaf. Einschlafen, Durchschlafen, Mittagsschlaf, etc. Dabei wird das selbstständige Einschlafen und vor allem das Durchschlafen als wichtiger Schritt in der Entwicklung gesehen. Wie oft wurde ich allein im ersten Lebenshalbjahr von Mathilda gefragt: „Schläft sie schon durch?“ Und immer mehr bekommt man dann den Eindruck, Einschlafen und Durchschlafen sei Teil der „Erziehung“. Warum ich von dieser Ansicht wenig halte und warum Babys tatsächlich auch nach einem Jahr noch nicht verlässlich durchschlafen, erzähle ich Euch heute.

Ist Durchschlafen normal?

Wie viel Schlaf ein Baby oder Kleinkind braucht ist hochgradig individuell. Die meisten Neugeborenen schlafen noch sehr viel, so zwischen 12 und 18 Stunden innerhalb von 24 Stunden. Andere brauchen viel weniger Schlaf oder sogar noch mehr. Nach der Neugeborenenzeit, ist das sogar NOCH variabler. Manche drei Monate alten Säuglinge schlafen doppelt oder dreifach so lange wie andere gleichaltrige Babys. Erst ab dem sechsten Lebensmonat werden die Unterschiede geringer: Säuglinge schlafen dann in der Regel 10-13 Stunden am Tag. Ausnahmen bestätigen die Regel 😉

Anfangs kennen Babys noch keinen  Tag-Nacht-Rhythmus. Wann sich Babys auf die Nacht als bevorzugte Schlafzeit einstellen, ist wieder einmal hoch variabel. Bei manchen passiert das bereits nach wenigen Wochen, die meisten aber entwickeln diesen Rhythmus nach etwa drei Monaten. Das heisst aber noch lange nicht, dass Babys dann „durchschlafen“. Drei Monate alte Kinder werden im Schnitt zwei- bis dreimal pro Nacht wach. Mit neun Monaten wachen die Kleinen sogar fünfmal pro Nacht auf. Und mit zwölf Monaten sind sie wieder bei zwei bis drei Mal pro Nacht. Selbst Kleinkinder schlafen nicht „durch“: Über dreißig Prozent der zweieinhalb Jährigen meldet sich nachts noch regelmäßig.

Durchschlafen bedeutet nebenbei bemerkt auch nicht, dass das Kind 8 Stunden fest schläft. Die Schlafforschung spricht vom Durchschlafen, wenn das Baby nachts sechs bis acht Stunden lang ruhig ist, also nach den Wachphasen wieder von alleine in den Schlaf findet.

Warum Babys nicht durchschlafen

Eigentlich sollten unsere Kinder ein wenig „mitdenken“ und uns Mütter und Väter die Nachtruhe gönnen, damit wir am Tag genug Energie haben, um unseren Aufgaben nachzugehen. Tja, nur leider sind Babys noch nicht so rational und rücksichtsvoll 😉 Kein Lebewesen wird unreifer geboren als das Menschenkind. Im Vergleich zu anderen Arten sind wir Menschen als Babys absolut schutz- und hilflos und könnten alleine niemals überleben.  Unser Gehirn ist noch klein, weil der Kopf sonst zu groß wäre, um durch den Geburtskanal zu passen. Das Gehirnwachstum muss also nach der Geburt schnell aufgeholt werden und das braucht ganz schön viel Energie, sprich: Nahrung! Wer ein so schnell wachsendes Organ in sich trägt, muss also jede Gelegenheit nutzen, dieses Wachstum in Form von Energieaufnahme zu ermöglichen, und sei es zur eigentlichen „Schlafenszeit“. Darum wachen Babys auch nachts auf beziehungsweise haben einen sehr leichten Schlaf, um das Trinken an der Brust so oft wie nötig zu ermöglichen.

Wann “lernt” mein Kind denn endlich das Durchschlafen?

Jetzt die schlechte Nachricht: Das Gehirnwachstum ist in den gesamten ersten drei Lebensjahren so „extrem“. Das bedeutet: Drei Jahre lang braucht dieses schnell wachsende Organ ziemlich viel Energie. In vielen Ratgebern liest man: etwa nach 6 Monaten lernen Babys das Durchschlafen. Säuglinge erlernten so etwa in der Mitte des ersten Lebenshalbjahres „durchzuschlafen“. Der Stoffwechsel und der Blutzucker des Babys sei dann so stabil, dass es ohne nächtliches Trinken auskommt. So einleuchtend die Begründung erscheint: das Einzige, was sie wirklich aussagt, ist, dass nächtliche Nahrungspausen jetzt keine gesundheitlichen Probleme mehr verursachen. Ob es dem Säugling möglicherweise einen (Überlebens- oder Entwicklungs-)vorteil verschafft, wenn er nachts zusätzliche Nahrung zu sich nimmt, wird in den meisten Ratgebern jedoch nicht thematisiert.

Aus evolutionärer Sicht kann man jedoch annehmen, dass Babys Gehirn wie bereits erwähnt noch bis zum dritten Lebensjahr ein ordentliches Kalorien-Plus benötigt. Es ist also absolut „normal“ wenn Kinder in dieser Zeit leicht schlafen oder nicht durchschlafen.

Ist Durchschlafen also doch kein Entwicklungsschritt?

Kurz gesagt: Durchschlafen hat nichts mit der Entwicklung von Kindern zu tun. Jene, die mit sechs Monaten „durchschlafen“, unterscheiden sich weder in ihrer psychoemotionalen Reife noch in sonstigen Kompetenzen von denen, die nicht „durchschlafen“.

Natürlich gibt es trotzdem Säuglinge, die besonders schnell nachts kaum oder gar nicht mehr aufwachen, um zu trinken. Das kann zum einen damit zusammenhängen, dass manche einfach weniger hungrig sind als andere. Ein weiterer Grund für die häufige Annahme, frühes „Durchschlafen“ sei normal, ist der selektive Erfahrungsaustausch. Eltern berichten gerne (nur) positive Dinge über ihre Kinder. Was auch Einfluss hat, ist, ob das Kind gestillt wird oder die Flasche bekommt und ob es im Elternbett oder im eigenen Zimmer schläft (wo leichter Schlaf oder Wachwerden des Babys von der Mutter einfach weniger (oft) registriert werden).

Alles hat seine Zeit

Die meisten Eltern würden sich sicher wünschen, dass ihre Kinder sie “endlich schlafen lassen.” Man darf durchaus auch neidvoll auf diejenigen Eltern haben, die mit Babies und Kleinkindern gesegnet sind, die einfach “gute Schläfer” sind. Es bedeutet gleichzeitig nicht, dass man selbst irgendetwas falsch macht. Aus evolutionärer Sicht ist es verständlich, dass „Durchschlafen“ eben nicht “normal” und kein wichtiger Entwicklungsschritt ist. Alles hat seine Zeit und irgendwann schlafen unsere Teenager-Kinder bis morgens um 10 und wir werden uns noch fragen, wann sie endlich aufstehen.

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Anmerkung: Dieser Beitrag beruht auf dem Buch des Kinderarztes und Wissenschaftlers Dr. Herbert Renz-Polster: „Schlaf gut, Baby! Der sanfte Weg zu ruhigen Nächten” (zusammen mit Nora Imlau). Es stellt dar, wie Eltern ihre kleinen Kinder (von 0 bis 6 Jahren) bei dem Dauerthema Schlaf unterstützen und begleiten können, ohne dass daraus Kampf und Krampf entstehen.

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Hannah Blankenberg
Hannah Blankenberg

Psychologin (M.Sc.), Systemische Beraterin, Mama

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