Warum dein Kind wegen Kleinigkeiten ausflippt

Kind flippt aus

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Es ist 7:48 Uhr, du willst gerade Schuhe und Tasche greifen, dein Kind steht an der Tür. Alles scheint gut zu laufen. Doch dann: Die Banane ist in der Mitte durchgebrochen. Und plötzlich bricht alles zusammen. Tränen. Wut. Geschrei. Schon wieder flippt dein Kind wegen Kleinigkeiten aus. Du fragst dich: „Wegen sowas?!“

Doch die Wahrheit ist: Dein Kind flippt nicht wegen der Banane aus. Nicht wirklich. Der Ausbruch ist nur der sichtbare Teil des Eisbergs. Darunter liegen viele kleine Frustrationen, angestaute Gefühle, ungestillte Bedürfnisse. Und: Ein sehr unreifes Gehirn mitten in der Entwicklung.

Wenn das Gehirn im Alarmmodus ist

Das kindliche Gehirn ist – gerade in den ersten Lebensjahren – noch weit entfernt von Reife. Der präfrontale Cortex, zuständig für Impulskontrolle, vorausschauendes Denken und Emotionsregulation, ist in dieser Zeit noch im Aufbau. Stattdessen dominiert das limbische System – das Zentrum für Emotionen und unmittelbare Reaktionen.

Wenn ein Kind also schreit, weil die Banane „falsch“ geschält ist oder der falsche Pulli gewaschen wurde, dann liegt das daran, dass sein Gehirn gerade Gefahr registriert: Eine Abweichung vom erwartbaren Muster. Ein Kontrollverlust. Ein Bruch im emotionalen Gleichgewicht.

Der Psychiater und Neurobiologe Daniel J. Siegel beschreibt diesen Zustand als „flip your lid“ – also das sprichwörtliche „Durchdrehen“, bei dem der Zugriff auf logisches Denken vorübergehend blockiert ist. Das Kind kann in diesem Moment nicht rational denken. Es kann nur fühlen.

Kind flippt aus – Warum Kinder so „überreagieren“

Kleine Kinder erleben tagtäglich eine Vielzahl an Reizen und Anforderungen. In Einrichtungen wie Kita oder Schule müssen sie Rücksicht nehmen, warten, teilen, sich anpassen – Leistungen, die selbst vielen Erwachsenen schwerfallen. Studien zeigen: Der Cortisolspiegel von Kindern ist am Nachmittag deutlich erhöht – ein Hinweis auf inneren Stress (Gunnar & Donzella, 2002).

Selbst wenn dein Kind noch nicht fremdbetreut wird, erlebt es tagtäglich kleine Frustrationen: Der Turm fällt um. Die Jacke geht nicht zu. Mama versteht nicht sofort, was gemeint ist. Viele dieser kleinen Herausforderungen werden im Tagesverlauf „geschluckt“ – bis irgendwann eine scheinbare Kleinigkeit reicht, um das Fass zum Überlaufen zu bringen.

Skripte, Schemata und kindliche Vorhersagbarkeit

Kinder bauen ihre Welt durch Wiederholungen und Vorhersagbarkeit auf. Wenn Dinge passieren, die nicht ins bisherige Muster passen, geraten sie emotional ins Wanken. Der falsche Teller. Der andere Abholer. Das ungewohnte Lied. In solchen Momenten wackelt das sichere Koordinatensystem. Der Entwicklungspsychologe Jean Piaget nannte dieses Prinzip „Assimilation und Akkommodation“: Kinder versuchen, neue Eindrücke in bestehende Schemata einzuordnen. Passt etwas nicht, muss das Schema verändert werden, was kognitiv und emotional anstrengend ist.

Dein Kind flippt aus – Was es in diesen Momenten braucht

  1. Dein Mitgefühl. Nicht, weil du das Verhalten gutheißt, sondern weil du erkennst, dass dein Kind gerade überfordert ist. Nicht bockig. Nicht manipulativ. Sondern überfordert.
  2. Dein emotionales Halten. Kinder können sich nicht selbst beruhigen, wenn sie aufgebracht sind. Sie brauchen unser Co-Regulationsangebot: „Ich sehe, du bist wütend. Ich bin bei dir.“
  3. Deine Worte für das Gefühl. Das hilft, das emotionale Erleben zu sortieren. Zum Beispiel:
    • „Das hast du dir anders vorgestellt, oder?“
    • „Du bist enttäuscht, weil der Pulli in der Wäsche ist.“
    • „Du wolltest das allein machen, und jetzt hat es nicht geklappt.“
  4. Keine schnellen Lösungen. Kein Ablenken, kein „Ist doch nicht schlimm“, kein „Jetzt reiß dich zusammen.“ Damit verlierst du die Verbindung. Und du nimmst deinem Kind die Chance, die Frustration zu verarbeiten.

Frustration verarbeiten, Perspektivwechselüben, Bedürfnisse kennenlernen: All das funktioniert über das Spiel

Im freien Spiel verarbeitet dein Kind emotionale Überforderungen. Im Spiel kann es die Kontrolle übernehmen, Szenen wiederholen, neue Wege ausprobieren. Bindungsspiele – also Spiele, in denen Nähe, Kontakt und Verbindung im Zentrum stehen – sind deshalb besonders „wirksam“:

„Play is the language of children and the way they heal.“ – Lawrence J. Cohen

Bindungsspiele können:

  • Emotionale Spannungen abbauen
  • Kooperationsbereitschaft stärken
  • Trennungssituationen erleichtern
  • Sicherheit und Verbundenheit fördern

Wir sollten das gemeinsame Spiel mit unserem Kind dennoch NIEMALS als reines „Mittel zum Zweck“ einsetzen. Wichtig ist, dass diese Zeit in Präsenz verbracht wird. Ohne den Gedanken dahinter, was ich nun konkret mit diesem Spiel „erreichen“ will.

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Kind flippt aus

Deine bewusste Haltung: Der Ausbruch ist nicht das Problem

Wenn dein Kind scheinbar „wegen einer Kleinigkeit“ ausflippt, frage dich nicht: „Was stimmt nicht mit meinem Kind?“ Sondern: „Was braucht mein Kind gerade wirklich?“ Denn Frustrationstoleranz ist keine angeborene Fähigkeit. Sie wird entwickelt – mit deiner Hilfe. Mit deinem Nervensystem als Anker. Mit deinem Verständnis. Mit deiner Geduld. So wird aus dem scheinbaren Drama ein wichtiger Lernmoment: Dein Kind erlebt, dass es mit seinen Gefühlen nicht allein ist. Und das, ganz nebenbei, ist die beste Vorbereitung auf ein emotional stabiles Leben.

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Bild von Hannah Blankenberg
Hannah Blankenberg

Psychologin (M.Sc.), Systemische Beraterin

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